Drittes Geschlecht: Divers heißt, sowohl männliche und weibliche Eigenschaften zu haben

Geschlechterdiversität in Stellenanzeigen – Fluch oder Segen?

Wo man auch hinschaut, ob in Stellenbörsen wie indeed, monster, den XING Stellenmarkt, LinkedIn oder in die regionale Tageszeitung: Wer den Jobmarkt regelmäßig verfolgt, dem wird nicht entgangen sein: Eine dritte Geschlechtsoption hat Einzug in die Jobprofile genommen. Das „d“ in „w/m/d“ steht für „divers“. Dies bezeichnet Menschen, die sich aufgrund körperlicher Merkmale weder eindeutig dem weiblichen noch eindeutig dem männlichen Geschlecht zuordnen lassen. Doch was hat es damit auf sich? Und wie reagiert der Markt?

„m/w/d“ in Stellenanzeigen: Was dahinter steckt

Dahinter steckt ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das den Gesetzgeber im November 2017 aufgefordert hatte, eine dritte Option zur Geschlechtsbenennung im Geburtenregister zu ermöglichen. Mit der bisherigen Option, sich entweder als männlich oder weiblich auszuzeichnen oder den Eintrag gänzlich leer zu lassen, wurde die nicht binäre Personengruppe bisher ignoriert.

Durch die Medien ging der Fall von Vanja: Ihrem Personalausweis nach ist sie weiblich. In einer Chromosomenanalyse wurde jedoch nachgewiesen, dass sie nur ein X-Chromosom besitzt. So ist sie weder eindeutig männlich, noch weiblich. Als sie ihren Geschlechtseintrag auf „inter“ ändern wollte, wurde dies zunächst abgelehnt. Schließlich klagte sie sich bis zum höchsten Gericht. Das Bundesverfassungsgericht stimmte ihr zu, dass die bisherigen Geschlechtsoptionen für Menschen wie sie diskriminierend seien. In Folge musste der Gesetzgeber nachbessern: Seit Beginn 2019 ist es nun möglich, im Geburtenregister eine dritte Option, „divers“ eintragen zu lassen.

Bereits seit 2006 schützt das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) Menschen gegen Diskriminierung. Auch wenn vor dem Grundgesetz alle Menschen gleich sind, erleben gerade im Arbeitsumfeld Menschen immer noch Benachteiligung. Gründe dafür sind oft die Herkunft, Weltanschauung oder Religion, Alter, eine Behinderung, die sexuelle Identität oder das Geschlecht. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz besagt, dass diese Ungleichbehandlungen zu beseitigen sind. Doch wo wird Ungleichbehandlung sichtbarer, als in der Berufswelt, wenn Menschen aufgrund des „falschen“ Nachnamens, einer anderen Hautfarbe oder ihrer Geschlechtsidentität keine Chance auf einen Arbeitsplatz erhalten? Deshalb ist es wichtig, über dieses Thema aufzuklären.

Das „d“ sorgt für Aufruhr. Doch was heißt das genau?

Die aktuell gebräuchliche Variante „d“ steht für „divers“ und meint damit alle intersexuellen Menschen. So werden Menschen bezeichnet, die sowohl männliche als auch weibliche Geschlechtsmerkmale in sich tragen.

In Abgrenzung dazu steht die Transsexualität: Transsexuelle sind Menschen, die sich nicht oder nicht ausschließlich mit dem Geschlecht identifizieren, dem sie bei der Geburt zugeordnet wurden. Biologisch können sie eindeutig einem Geschlecht zugeordnet werden. Für ihre andere Geschlechtsidentität spielen eher psychologische und soziale Faktoren eine Rolle. Ihnen steht die dritte Option im Pass nicht zur Verfügung. Hintergrund ist, dass bei ihnen keine körperlichen Merkmale von beiden Geschlechtern nachgewiesen werden können. Dieser Umstand wird von vielen Betroffenen kritisiert.

Nehmen wir einmal an, Sie arbeiten in der Personalabteilung eines Unternehmens und befassen sich gerade damit, wie Sie Ihre offenen Stellen besetzen können. Selbstverständlich wollen Sie eine größtmögliche Auswahl an Bewerber*Innen erhalten, um sich dann für den oder die beste Kandidat*in mit den passenden Kompetenzen entscheiden zu können. Was ist zu tun?

Die Perspektive der Unternehmen: Welche Konsequenzen hat das für Sie als Arbeitgeber?

Zunächst wurde viel Wirbel um diese Entscheidung des BVG gemacht. Arbeitgeber, die ihre Stellenanzeigen nicht mit dem „d“ oder „divers“ auszeichnen, drohen Klagen und Schadensersatzforderungen, hieß es in den Medien. Doch die Entscheidung des BVG war zunächst einmal an den Gesetzgeber adressiert, nicht an die Arbeitgeber. Bis heute gibt es kein Gesetz, das vorschreibt, wie Stellenanzeigen für Menschen des dritten Geschlechts ausgezeichnet werden müssen. Wichtig ist, dass kein Mensch aufgrund seines Geschlechts diskriminiert wird. Alle Menschen – egal welchen Geschlechts – sollen sich vom Text einer Stellenanzeige angesprochen fühlen.

Müssen Unternehmen jetzt handeln?

Fakt ist: Die Stellenanzeige mit der Kennzeichnung „m/w/d“ ist mittlerweile zur Norm geworden. Sie sind nicht verpflichtet, sich der Norm zu beugen, aber Sie müssen sich bewusst sein, dass Ihre Anzeige auffällt, wenn Sie die dritte Option nicht verwenden. Man könnte Ihnen unterstellen, dass Ihre Personalabteilung entweder sehr nachlässig arbeitet, weil sie keine aktuellen Geschehnisse beobachtet oder man hält sie sogar für hinterwäldlerisch und altmodisch. Am wahrscheinlichsten wird man Sie aber für wenig offen und tolerant halten. Damit verbauen Sie sich den Zugang zu einem Pool an Bewerber*Innen, die für Ihr Unternehmen spannend sein könnten. Ob Sie sich dies in Zeiten des Fachkräftemangels noch erlauben können, werden Sie selbst am besten beurteilen können.

Welche Alternativen gibt es zu m/w/d?

Kreativ ist die Auszeichnung „m/w/d“ nicht, aber sie scheint sich eingebürgert zu haben. Daneben existieren noch die gleichbedeutenden Varianten „m/w/x“ und „m/w/i“. Welche Variante für Ihre Stellenanzeige nun die bessere ist, darüber lässt sich streiten. Wichtig ist, dass Sie Ihr Ziel im Blick behalten: Sie wollen den oder die beste Bewerber*in für Ihre Stelle finden. Das Geschlecht sollte dabei keine Rolle spielen; ergo: Jeder Mensch muss sich von Ihrer Stellenbeschreibung angesprochen fühlen.

Das können Sie erreichen durch Benennungen wie:

  • „Projektmanager (m/w/d)“
  • „Projektmanager/in (w/m/d)“
  • die Nutzung des Geschlechtersternchen „Projektmanager*in (m/w/d)“ oder
  • die Nutzung des Unterstrichs „Projektmanager_in“

Übrigens: Das Gendersternchen und der Unterstrich wurden ursprünglich geschaffen, um alle Menschen, die sich zwischen den binären Geschlechtsidentitäten sehen, zu inkludieren, also inter- und transsexuelle ebenso wie Menschen, die sich keinem der beiden Geschlechter zugehörig fühlen (im Fachjargon „non-binary“).

Neutral, aber nicht gerade förderlich für die Auffindbarkeit in Stellenbörsen sind Benennungen wie

  • „Projektmanagement-Profi gesucht“ oder
  • „Wir suchen eine Leitung der Abteilung XYZ“.

Diese Wortwahl eignet sich eher für die Karriereseite auf der eigenen Website oder die Jobbörse in der Zeitung als für Ihr Inserat in Online-Portalen.

Für den größten Bewerber*Innenpool: Ist es mit einer alle Geschlechtsidentitäten umfassenden Schreibweise getan?

Sicher nicht. Wer sich von Ihrer Stellenanzeige angesprochen, wahrgenommen und gesehen fühlt, entscheidet auch die Bildsprache. Bedenken Sie dies bei Ihrer Bildauswahl und zeigen Sie vielfältige Menschen, wo es Ihnen möglich ist.

Ungeklärt bleibt, wie die Ansprache der betroffenen Bewerber*innen im weiteren Bewerbungsverlauf gelingen kann: Denn selbst wenn Sie in der Stellenanzeige alle drei Geschlechtsoptionen ansprechen, wie laden Sie eine Person dritten Geschlechts dann zum Vorstellungsgespräch ein? „Liebe Frau / Lieber Mann, Liebe*r Frau/Herr …“ ist fehl am Platz, wenn Sie konsequent sein wollen. Vorausgesetzt, Ihnen ist das Geschlecht bekannt. Bei intersexuellen Personen können wir weder vom Foto, noch vom Vornamen darauf schließen. Betroffene müssen uns explizit darauf hinweisen. Das kann z. B. durch ein Bewerbungsformular geschehen, indem diese Option abgefragt wird. Doch meist arbeiten nur Konzerne mit solchen Online-Bewerbungsformularen; im Mittelstand ist immer noch die Bewerbung per E-Mail gang und gäbe.

Um Missverständnissen vorzubeugen, empfiehlt es sich deshalb, Ihre Bewerber direkt mit Vor- und Nachnamen ansprechen, z. B. „Hallo Sascha“, „Guten Tag, Sascha Förderich“. Wenn bei Ihnen das Du üblich ist, eignet sich ein „Liebe*r Sascha“.

Deutsche Sprache, schwere Sprache?

Zugegeben, die deutsche Sprache macht es uns nicht leicht. In unserem Wortschatz fehlt das passende Pronomen, wir können nur zwischen er und sie wählen, zwischen ihm und ihr. Möchten wir eine Anruferin zu einer intersexuellen Person in unserer Firma per Telefon durchstellen, ist unklar, was wir sagen können. „Ich verbinde Sie mal mit Frau oder Herr X“? – Klären Sie daher vorher im persönlichen Gespräch, welche Variante der betroffenen Person am liebsten ist. Sprechen Sie offen Ihre Berührungsängste an.

Diversity Trainerin aus Karlsruhe: Juli Avemark

Juli Avemark, Diversity-Trainerin, Foto: privat

Die Diversity-Trainerin Juli Avemark ermutigt Unternehmen, sich auf den Weg zu einer inklusiven Sprache zu machen. Sie warnt jedoch vor unrealistischem Perfektionismus. „Es ist nur zu begrüßen, wenn Sie sich vorgenommen haben, Maßnahmen umzusetzen, die geschlechtsdiverse Menschen berücksichtigen. Aber es braucht auch Zeit, integrierend zu schreiben und zu sprechen, denn hier muss sich unser Gehirn umtrainieren.“

Wenn ein Unternehmen jedoch bewusst handelt, in der Schreibweise und wie es zum Vorstellungsgespräch einlädt, dann öffnet es mit kleinem Aufwand Türen. Türen für Menschen, die nicht exotischer sein wollen, sondern typischerweise mit einem jahrelangen Leidensdruck zu kämpfen haben, die Person zu sein, die sie wirklich sind.

Drittes Geschlecht in Stellenanzeigen: Modeerscheinung oder notwendiger Standard?

Kritiker*Innen könnten sich fragen: Warum die ganze Aufruhr? Wie viele Personen sind eigentlich von der neuen Regelung betroffen? Es heißt, Intersexuelle gebe es so viele wie Rothaarige. Hand aufs Herz: Auch Sie werden mindestens eine rothaarige Person kennen. Wenn es Ihnen logisch erscheint, die Lebensbedingungen und Chancen für diese Person zu erhöhen, sollten Sie auch die Notwendigkeit für intersexuelle Menschen erkennen.

Man versetze sich nur mal in die Lage der Betroffenen. Sie fragen sich häufig:

  • Akzeptiert man mich, so wie ich bin?
  • Können andere mit mir umgehen?
  • Werde ich verstanden?

Für viele Menschen bedeuten eine inklusive Schreib- und Sprechweise bloß ein bisschen Umgewöhnung und Bequemlichkeitseinbuße. Für Betroffene geht es jedoch um viel mehr: Um Teilhabe und bessere Startchancen in der Berufswelt. Schließlich kann man davon ausgehen, dass jeder Mensch im Leben mal in eine Lage kommen kann, in der man sich ausgeschlossen fühlt und das Verständnis und Mitgefühl der anderen braucht. Es ist also nicht das Privatproblem der Einzelnen, sondern geht uns alle als Gesellschaft an, wie wir miteinander umgehen.

Sprache formt Realität: Aus Gedanken werden Worte, aus Worten folgen Taten

Es lässt sich nicht darüber streiten: Sprache hat Einfluss auf unsere Wirklichkeit. Was nicht benannt wird, existiert quasi nicht.

Kleines Beispiel gefällig? Stellen Sie sich vor, eine Gruppe Ärzte läuft die Straße herunter. Welches Bild entsteht in Ihrem Kopf? Bei diesem Gedankenexperiment sehen acht von zehn Personen vor ihrem inneren Auge eine Gruppe von männlichen Ärzten, Frauen kommen dabei nicht vor.

So ist es auch mit Intersexuellen, die bisher weder im Personalausweis, noch in der Stellenanzeige repräsentiert waren. Dass Unternehmen diese Menschen jetzt mit der Nennung des „d“ ansprechen, sorgt zumindest dafür, dass Menschen mit der dritten Option sichtbar gemacht und dadurch mehr wahrgenommen werden.

Ob dies ihre Benachteiligung und Diskriminierung am Arbeitsplatz beseitigt, entscheiden jedoch noch ganz andere Dinge: Die Unternehmenskultur und die Offenheit, sich auf Vielfalt einzulassen.

Sprache kann also ein wesentlicher Motor für mehr Geschlechtergerechtigkeit sein. Sie ist aber ganz sicher nicht der einzige. Juli Avemark läd deshalb zu Sensibilisierungstrainings für Unternehmen,. Darin coacht sie z. B. Unternehmen, wie diese mit einem transsexuellen Bewerber, dem Namensänderung und geschlechtsangleichende Operationen während der Ausbildung bevorstehen, umgehen können. Schließlich wollen alle Unternehmen wirtschaftlichen Erfolg. Daher gilt: „Um die beste Arbeitskraft von seinen Mitarbeiter*innen zu erhalten, müssen sie sich wohl fühlen. Dies geht nur, wenn sie sich von ihrem Arbeitgeber so angenommen fühlen, wie sie sind. Alles andere bedeutet einen hohen Energieaufwand, ist anstrengend, macht unglücklich und schlimmstenfalls krank.“, so die Beraterin. Erst wenn man sein kann, wer man ist, kann man sein volles Potenzial ausschöpfen.

Titelbildnachweis: Andrii Zastrozhnov / shutterstock.com

Autorin: Ute Klingelhöfer für holisticminds – schreibt Artikel für den Blog und macht komplexe Themen verständlich.