Coaching für alle – digital, ortsunabhängig und bequem
Coaching ist ein Bereich, der in Unternehmen meistens nur Führungskräften vorbehalten ist. Das Karlsruher Start-up evoach möchte das ändern: Coaching für alle, unabhängig von der Hierarchiestufe, frei von einem bestimmten Ort und Zeitpunkt – so heißt die Devise. Das Selbstcoaching läuft über eine Webanwendung. Der Klient wird durch Fragen von einem virtuellen Begleiter von seinem Anliegen bis hin zur Lösung geführt wird.
Wann Coaching sinnvoll sein kann
Der Bedarf nach Coaching steigt gerade in der VUCA-Welt. Wenn alte Strukturen nicht mehr gelten und durch agile Selbstführungsmethoden ersetzt werden, entstehen neue Rollenverteilungen im Team. Das Arbeitsumfeld wird immer komplexer, der Markt immer dynamischer. In dieser Zeit richtige und schnelle Entscheidungen zu treffen, kann eine Herausforderung sein. Ein Coaching kann helfen, sich über eigene Ziele, Verhaltensweisen und Werte bewusst zu werden. Diese dienen dann als Leitplanken für die eigene Orientierung und Entscheidungsfindung.
Häufig ist man als Betroffener zu sehr im Problem oder dem System verstrickt, um selbst eine geeignete Lösung zu finden. Coaches sind deshalb auch oft Sparringspartner, die bereits ähnliche Erfahrungen wie die ihrer Klienten gemacht haben und helfen können, deren Situation besser zu verstehen und mit ihnen gemeinsam eine nachhaltige Veränderung zu bewirken.
Typische Coaching-Anliegen sind:
- Die Bewältigung von Konflikten und das Finden kreativer Lösungen
- In eine neue Führungsrolle kommen – Führungskompetenzen entwickeln (im Speziellen als Frau in einem männerdominiertem Umfeld oder als besonders junge Führungskraft)
- Antreiber und Blockaden aufdecken
- Ziele zu definieren und Zielvereinbarungen zu formulieren
- Work-Life-Balance zu verbessern
- Gesunde Gewohnheiten etablieren
- Zusammenarbeit/Kommunikation im Team verbessern
- Vorbereitung auf ein Gespräch (z. B. Bewerbungsgespräch, Gehaltsverhandlung oder Konfliktgespräch)
Normalerweise ist Coaching eine sehr persönliche Angelegenheit zwischen zwei Menschen. Der Klient (Coachee) kommt an einem Punkt im (Arbeits-)leben nicht weiter und wendet sich an einen Coach, der mit verschiedensten Methoden und Gesprächstechniken gemeinsam das Verhalten des Klienten reflektiert und neue Verhaltensweisen zu etablieren versucht. In der Regel benötigt ein Coachee mehrere Coaching Sessions von 1-2 Stunden, um praktikable Lösungen zu finden und nachhaltig Veränderungen einzuleiten. Bei der Selbstcoaching-Anwendung evoach hingegen kommt der Coachee ganz ohne ein menschliches Gegenüber aus und kann das Coaching daher auch von Zuhause oder einem ungestörten Platz in der Firma aus wahrnehmen. Der Vorteil: Der Zugang erfolgt ohne komplizierte Terminvergabe und der Coachee muss sich mit seinem Thema niemand anderem persönlich öffnen.
Vorteil der Anonymität im Selbstcoaching
Die digitale Umgebung hat den Vorteil, dass das Coaching vollständig anonym bleibt. Was zwischen dem digitalen Begleiter (zu Beginn kann der Coachee in der Anwendung zwischen verschiedenen Avataren wählen, die ihn durch den Prozess führen) und dem Coachee erarbeitet wird, bleibt geheim. Dafür sorgt das Start-up durch die entsprechende Verschlüsselung der Daten und die Möglichkeit, sich anonym einzuloggen.
Firmen haben nur sehr eingeschränkten Zugriff auf Coaching-Daten
Firmen, die ihren Mitarbeitern digitales Selbstcoaching mit evoach ermöglichen möchten, buchen aktuell Lizenzen abhängig von der Anzahl ihrer Mitarbeiter. Die Führungskräfte und das Unternehmen erhalten keine detaillierten Daten über den Inhalt der Mitarbeiter-Coachings. Reportings, auf die die Unternehmen zugreifen können, enthalten bisher ausschließlich die Nutzerzahl und ab einer bestimmten Datenmenge Themen-Highlights, von denen aber keine Rückschlüsse auf persönliche Daten möglich sind.
Kurzweilige, spielerische Methoden leiten durch den Coaching-Prozess
Im Coaching selbst verfolgt evoach den Ansatz des systemisch-lösungsorientierten Coachings. Dabei ist der Coach für den Prozess verantwortlich, der Coachee für dessen Inhalt. Je nach Thema werden dem Coachee spielerisch aufbereitete Coaching-Methoden angeboten, sein Thema zu visualisieren, zu strukturieren und eigene Lösungsansätze zu entwickeln. Ziel ist es, aus der digitalen Session mit nächsten Schritten herauszugehen, die der Coachee sofort umsetzen kann. Je nach Themenmodul dauert so ein Prozess zwischen 30 (z. B. für „Lösungen finden“ oder „Gespräche vorbereiten“) und 120 Minuten („Konflikte lösen“). Laut der bisherigen Nutzer vergeht diese Zeit aber extrem schnell, da die spielerischen Methoden das ganze sehr kurzweilig erscheinen lassen. Weitere Themenfelder wie „Entscheidungen treffen“ oder „Werte entdecken“ werden gerade noch getestet.
Persönliche Unabhängigkeit durch Wegfall des persönlichen Austauschs
Kritiker fragen berechtigt, ob ein Coaching ohne zwischenmenschlichen Kontakt, ohne das Feedback von Gestik, Mimik und Körpersprache überhaupt funktionieren kann. Demgegenüber steht das Argument, dass durch ein Selbstcoaching der Coachee wenigstens nicht abhängig von seinem Coach werden kann. Die Abhängigkeit von der Person ist nämlich häufig auch ein Kritikpunkt vom gewöhnlichen Coaching. Zwischen Coach und Coachee kann sich über einen längeren Zeitraum ein Vertrauensverhältnis aufbauen, das der Coachee regelrecht vermisst, wenn er nicht mehr regelmäßig eine Session bucht. Dabei sollte Coaching immer als vorübergehende Maßnahme gesehen werden, nicht als Dauerbegleitung wie z. B. eine Psychotherapie.
Wann digitales Selbstcoaching an seine Grenzen kommt
Nach jeder Coaching-Session bei evoach gibt es eine kurze Evaluation, ob das Anliegen in der Session geklärt werden konnte oder der Coachee zumindest einen großen Schritt weitergekommen ist. Dies ist bei mehr als 95 % der bisherigen Nutzer der Fall.
Tests haben jedoch auch gezeigt, wann das digitale Selbstcoaching an seine Grenzen kommt. Dies ist vor allem bei privaten Beziehungskonflikten so oder wenn sich ein Partner getrennt hat. Wenn jemand zu sehr in seinem Problem gefangen ist, sich in „Problemtrance“ befindet, ist es schwierig, ihn nur durch digitale Mittel dort hinaus zu begleiten. Es besteht die Gefahr, dass sich der Coachee weiterhin etwas vormacht. Ein menschliches Gegenüber könnte an dieser Stelle eingreifen und den Coachee ins lösungsorientierte Denken führen. Je selbstreflektierter der Coachee ist, desto besser funktioniert das Digitale ohne menschliche Helfer.
Konnte das Anliegen digital nicht gelöst werden, gibt es über die Plattform aber auch die Möglichkeit, Kontakt zu einem „realen“ Coach herzustellen. An das bisher Erarbeitete aus dem digitalen Coaching kann dann direkt angeknüpft werden. Außerdem sind für die Zukunft noch weitergehende Evaluationen nach 3 Tagen und 1 Woche geplant, um den Coachee zu bestimmten Aktionszeitpunkten wieder in Verbindung mit seinem Anliegen zu bringen.
Geeignetes Tool für Team-Coachings
Eine spannende Möglichkeit bietet evoach für die Begleiter von agilen Teams an. Scrum Master, Agile Coaches oder Agile Facilitator können über die Plattform vor der Durchführung einer Retrospektive Feedback von ihrem Team einsammeln und sich so besser auf das Meeting vorbereiten. Zunächst loggt sich jedes Teammitglied auf der Plattform ein und durchläuft einen Selbstreflexionsprozess zu den Themen wie „Team Status“, „Team Reflexion“, „Team Rollen“ oder „Team Feedback“. Die erarbeiteten Einzelergebnisse werden dem Verantwortlichen dann gesammelt zur Verfügung gestellt. Das hat den Vorteil, dass sich die einzelnen Teammitglieder besser auf das Meeting vorbereiten. Die tiefere Selbstreflexion führt schließlich zu besseren Ergebnissen und Ideen.
Fazit
Das digitale Selbstcoaching bietet viele Vorteile, wie die orts- und zeitunabhängige Verfügbarkeit, den direkten Zugang und die Anonymität. Ein Manko ist, dass durch den fehlenden Faktor Mensch eine Korrektur fehlt, z. B. wenn sich ein Klient selbst etwas vormacht, aus seiner Gedankenschleife nicht herauskommt oder sogar eine psychische Krankheit hat, die ein wirkliches Gegenüber wahrscheinlich identifizieren könnte.
Evoach will aber Coaches in der Form gar nicht ersetzen, so Rebecca Rutschmann, Gründerin von evoach. „Ziel unserer Anwendung ist es, Coaching zu liberalisieren. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Coaching zum Großteil immer noch eine Gratifikation für Führungskräfte in den Unternehmen ist. Und wenn es für alle Hierarchieebenen generell verfügbar ist, dann sind die Prozesse im Unternehmen oft sehr lange bis ich dann tatsächlich meine erste Coaching-Session erhalte. In dieser Zeit bleibt der Coaches aber weiterhin mit seinem Problem allein und fühlt sich handlungsunfähig, blockiert damit vielleicht sogar das Fortkommen in seinem Team. Wir möchten mit evoach hier ansetzen, dass jeder Mitarbeiter jederzeit ein Coaching in Anspruch nehmen kann. Mal ganz abgesehen davon, dass viele sich auch nicht gerne die Blöße geben, offen vor ihren Vorgesetzten oder HR zuzugeben, dass sie gerade ein Coaching in Anspruch nehmen wollen.“
Selbstcoaching ist noch neu und muss sich erst langsam etablieren. Evoach leistet hier Pionierarbeit und testet sein Produkt in Form eines Minimum Viable Product direkt am Markt. Erst dann geht es in die detaillierte technische Weiterentwicklung geht. Das Team besteht aktuell aus drei Gründern, einer Werkstudentin die von verschiedenen Freelancer bei Bedarf unterstützt werden.
Titelbildfoto von Marek Levak von Pexels
Autorin: Ute Klingelhöfer für holisticminds – schreibt Artikel für den Blog und macht komplexe Themen verständlich.